Vor mehr als 15 Jahren habe ich in der Schulbibliothek die Abhorsen-Trilogie von Garth Nix entdeckt: Sabriel, Lirael und Abhorsen. Die Geschichte ist voller Magie, Nekromanten, Toten. Die Abhorsen entführen Leser_innen in zwei grandiose Welten, Ancelstierre und das Alte Königreich, und erleben Abenteuer, die in das tiefste Totenreich führen. In dieser Rezension widme ich mich dem ersten Band der mittlerweile zur Reihe angewachsenen Geschichte: Sabriel.
Das Buch
Titel: Sabriel
Autor: Garth Nix
Reihe: Abhorsen-Reihe
Verlag: Carlsen Verlag
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheiungsjahr: 2004
Umschlaggestaltung: Dieter Wiesmüller
Originalsprache: Englisch (Originalcopy 1995)
Übersetzung: Lore Strassl
Genre: Young Adult Fantasy
ISBN: 3-551-58128-2
Klappentext:
Seit ihrer Kindheit lebt Sabriel außerhalb der Mauern des Alten Königreichs. Doch als ihr Vater, der Magier Abhorsen, vermisst wird, kehrt sie dorthin zurück. Eine Suche voller tödlicher Gefahren wartet auf sie. Und Sabriel muss sich einer Macht stellen, die mehr bedroht als nur ihr Leben …
Triggerwarnung
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Das Buch enthält folgende möglicherweise triggerende Inhalte:
Tod, Gewalt, Gewalt gegen Tiere, Untote, Blut, Gedächtnisverlust.
Solltest du von einem dieser Inhalte getriggert werden, rate ich dir, das Buch nicht zu lesen.
Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Solltest du weitere Inhalte kennen, die potentielle Trigger darstellen, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du sie mir mitteilst, damit ich sie in der Liste ergänzen kann.
Rezension:
Die Welt des Alten Königreichs ist brillant, fantastisch und innovativ. Das ausgearbeitete Magiesystem ist eines der besten, das ich je gelesen habe – es ist verständlich, wird langsam eingeführt und stetig erweitert. Die Welt selbst ist nicht von den magischen Hintergründen trennbar und erhält daher direkt noch einen Pluspunkt. Okay, genug geschwärmt, jetzt geht es an die Details.
Das Alte Königreich und Ancelstierre
Die Geschichte von Sabriel und den Abhorsen ist angesiedelt in zwei Ländern (oder auch: Welten): Ancelstierre und das Alte Königreich. Ancelstierre erinnert an Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts, es gibt verschiedene wissenschaftliche Errungenschaften (erste Flugmaschinen, Autos, Waffen) und eine Gesellschaft, die im weitesten Sinne modern gestaltet ist. Dann gibt es noch das Alte Königreich, in dem mittelalterliche Verhältnisse herrschen. Das liegt daran, dass dort Magie alltäglich ist – und modern fabrizierte Dinge nicht lange bestehen. Elektrizität funktioniert im Alten Königreich nicht. Wie ist das möglich? Die beiden Länder werden durch eine massive Mauer getrennt – und auch wenn die Menschen aus Ancelstierre denken, es sei lediglich eine Begrenzung zu einem anderen Land, liegen sie damit nur teilweise richtig. Im Grunde befinden sich die beiden Länder in unterschiedlichen Welten, die nicht viel gemein haben. Auf der modernen Seite gibt es Schützengräben, die an den Ersten Weltkrieg erinnern, und eine ständige Wache. Und das ist auch dringend nötig, denn manchmal wandeln die Toten. Und hier kommt Sabriel ins Spiel.
Im Alten Königreich herrscht Magie – freie, chaotische Magie und die geregelte Charter Magie. Es gibt auf beiden Seiten Menschen, die diese Magiearten beherrschen und sie für ihre Zwecke nutzen.
Eine besondere Rolle spielen die Toten in der Welt des Alten Königreichs. Stirbt ein Mensch, landet er in einer Art Limbo mit einem gewaltigen Fluss. Dort gibt es viele verschiedene Tore, die die Toten durchschreiten müssen, um auf Ewig zu ruhen. Doch manche haben Angst vor dem Tod – und versuchen, wieder in die Welt der Lebenden zu gelangen. Es gibt eine Familie, deren Aufgabe es ist, die Toten zu bannen und sie durch die Tore zu schicken: die Abhorsen. Diese Nekromanten stehen im Zentrum der Geschichten des Alten Königreichs.
Sabriel und ihre Verbündeten
Im ersten Band, Sabriel, lerne ich als Leserin Sabriels Welt näher kennen. Sie wurde zwar im Alten Königreich geboren und hat auch einen Teil ihrer Kindheit dort verbracht, aber zur Schule gegangen ist sie in Ancelstierre. Dort besucht sie nahe der Mauer eine Mädchenschule, in der auch Grundlagen der Magie unterrichtet werden. In eben dieser Schule beginnt die Geschichte. Sabriel wird kurz vor ihrem Schulabschluss von einem Diener ihres Vaters aufgesucht und erhält seine Abhorsen-Werkzeuge: die Glocken der Nekromanten und ein Schwert. Doch was ist mit ihm geschehen? Sabriel kehrt in das Alte Königreich zurück, um es herauszufinden – und ist das erste Mal mit den Aufgaben einer Abhorsen auf sich allein gestellt.
„Abhorsen“, maunzte die Katze, und ihre kleine rosa Zunge zuckte vor und zurück. „Wird Zeit, dass du kommst.“
Garth Nix: Sabriel, Hamburg, Carlsen Verlag, 2004, S. 98.
Im Alten Königreich ist sie nicht nur mit Toten konfrontiert, sondern gewinnt auch Verbündete. Ein besonderer Liebling von mir ist Mogget.
Mogget ist ein kleiner, weißer Kater, der sprechen kann. Das ist Sabriels erster Hinweis, dass Mogget keine gewöhnliche Katze ist. Mogget ist vielschichtig und stellt alle anderen Figuren von Garth Nix in den Schatten. Er ist so komplex und für mich die perfekte Entsprechung des Archetypus „Trickster„. Ich könnte ganze Aufsätze über Mogget schreiben, seine ambivalente Perfektion. Aber ich möchte nicht zu viel verraten. Nur so viel: Bis heute hat es keine weitere Figur geschafft, mich so in den Bann zu ziehen (wobei sich Bartimäus einen sicheren Platz 2 verdient hat). Mit jedem Buch, das Garth Nix herausbringt und in dem Mogget eine Rolle zugewiesen wird, verliebe ich mich mehr in diese Figur.
Neben Mogget steht Sabriel auch ein weiterer Verbündeter zur Seite: Touchstone. Auch er ist vielschichtig, hat eine spannende Vergangenheit und wird langsam zu Sabriels Partner. Der Romance-Subplot ist subtil und nimmt trotz seiner Bedeutung für die Geschichte niemals einen übermäßigen Raum ein. Sabriel und Touchstone sind runde, gut ausgearbeitete Figuren, deren Abenteuer ich gerne verfolgt habe.
Ich habe lange überlegt, welcher Punkt die Besonderheit dieses Buches interessierten Leser_innen noch deutlich machen könnte. Alle Bände haben so viele Facetten, die das Leseerlebnis besonders machen. Aber was macht Sabriel besonders? Was hat mich als Teenager so an dieser Geschichte begeistert?
Gleichberechtigung in den 90ern
Und erst, als ich es vor einigen Jahren nochmals gelesen habe, wurde mir klar, dass alle Figuren in Garth Nix‘ Geschichten gleichberechtigt sind. Ein Großteil dieser Bücher spielt in einer dem Mittelalter angelehnten Welt und es gibt keinen Beruf und keine Stellung, die Frauen nicht ebenso zugetraut wird wie Männern. Während Ancelstierre eher mit rollentypischen Erwartungen verbunden ist, herrscht im Alten Königreich Gleichberechtigung. Frauen führen Gruppen an, sind Soldatinnen, Königinnen, Lehrerinnen. Es gibt nur eine Berufung, bei der Männer und Frauen nicht dieselben Chancen haben: die Clayr, welche die Zukunft sehen können, sind ausnahmslos Frauen.
Damit ist Sabriel und die Welt des Alten Königreichs für mich ein Paradebeispiel, um zu zeigen, dass es möglich ist, Gleichberechtigung in einem Mittelalter-Setting zu gewährleisten. Das Buch hat Schwächen, keine Frage. Aber für eine Geschichte, die in den 90er Jahren geschrieben und veröffentlicht wurde, ist die Reihe progressiv. Ich lese sie noch heute sehr gerne – und das ist auch gut so, denn Garth Nix veröffentlicht alle paar Jahre weitere Geschichten, die im Alten Königreich angesiedelt sind. Erst gestern kündigte er an, dass 2021 mit „Terciel and Elinor“ ein weiteres Buch der Abhorsen-Reihe veröffentlicht wird. Und ich bin schon sehr gespannt auf die Abenteuer, die mich erwarten!
Geschichten im „Alten Königreich“
(Chronologie des Alten Königreichs)
- Clariel – The Lost Abhorsen (2014)
- Sabriel (1995)
- Lirael (2001)
- Abhorsen (2003)*
- Goldenhand (2016)
Kurzgeschichten:
- *Nicholas Sayre and the Creature in the Case (Die Geschichte ist in der Kurzgeschichtensammlung „Across the Wall„, dt. „Über die Mauer“ erschienen, 2005)
- An Extract of the Journal of Idrach the Lesser Necromancer (Die Kurzgeschichte ist in „Across the Wall„, dt. „Über die Mauer“ erschienen, 2005)
- To Hold the Bridge (Die Geschichte ist in der englischen, gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung erschienen, 2010)
- Doktor Crake Crosses the Wall (verfügbar auf der Website zum Alten Königreich: oldkingdom.com.au )
Angekündigte Erweiterung:
- Terciel and Elinor (voraussichtlich 2021)
Das einzige Manko der Geschichten aus dem Alten Königreich: Bisher liegen nicht alle Geschichten in deutschen Übersetzungen vor. Ich hoffe, dass es bald eine Neuauflage geben wird – gerade angesichts des neuen Buchs 2021 und der Intention des englischen Herausgebers, die Bücher erneut unter einem Dach und mit neuem Gewand herauszugeben.
Und jetzt? #OldKingdom
Weitere Rezensionen von Blogger_innen:
Katies fantastische Bücherwelt
Frank A. Dudley: Todesglöckchen und sprechende Katzen, auf: Phantastik-Couch.de
P.S. Wenn ich noch eine Rezension lese, in der Mogget falsch geschrieben oder als weibliche Katze dargestellt wird, schreie ich. Ernsthaft.
Das war es zunächst von mir. War ja auch vorerst genug, oder? Falls nicht, frag mich!
Hast du bereits eine Geschichte über die Abhorsen gelesen und das Alte Königreich kennengelernt? Wie fandest du die Abenteuer, die Welt, die Figuren?