Vor einer Weile habe ich einigen von euch – also vermutlich auch dir – versprochen, die Szene, die ich im Rahmen von 9Lesen vorgetragen habe, auf meiner Website zur Verfügung zu stellen – und hier ist sie nun.
Wenn du mehr über diese Geschichte erfahren möchtest, geht’s hier entlang. Auf dieser Seite poste ich Informationen zu dem Projekt „Marc & Dodo“ und anderen Geschichten über Figuren, die den Weg meiner Protagonisten kreuzen. Das sind gar nicht so wenige … ich hoffe also, dass zumindest ein paar Geschichten irgendwann das Licht der Welt erblicken. Jetzt viel Spaß mit Marc & Dodo.
P.S. Für Leseratten gibt’s die Szene auch zum Nachlesen. Einfach runter scrollen. Aber jetzt pssst. Es geht los!
Ein kleiner Einblick ins Manuskript: Marc & Dodo – Kapitel 3
3 – Dodo
Ich schnappte mir Marcs dunkelblaues T-Shirt vom Boden, um darin gehüllt ins Bad zu huschen. Das Badezimmer war sauber, die Handtücher ordentlich aufgehängt. Zweimal atmete ich tief durch, genoss den Protest meiner Muskeln, das Kribbeln in meinen Adern. Seit Jahren hatte ich nicht so hemmungslos auf einen Mann reagiert. Mit ihm nach Hause zu gehen war jede Minute des Wartens wert gewesen.
Als ich zurückkam, lag meine Kleidung gefaltet auf seiner Bettdecke. Er saß in schwarzen Boxershorts an dem Schreibtisch neben den Balkontüren, die Beine von sich gestreckt und übereinandergelegt, und starrte aus dem Fenster. Marc sah nicht nur wie ein Unterwäschemodel aus, er war ein junger Gott.
Ich griff nach meiner Strumpfhose, setzte mich auf die Bettkante und ließ den Blick durch das Zimmer wandern. Es war vergleichsweise spartanisch. Die Wände waren in einem hellen stahlblau gestrichen, mit unterschiedlich breiten Streifen als Akzentuierung. Ansonsten war das Zimmer farblos: Schreibtisch mit Glasplatte und grauen Füßen, schwarzer Computerbildschirm, weißer Schrank, weißes Bett, weiße Nachttische, alles mit dunkelgrau abgesetzten Griffen. Der einzige Akzent war monochrom-hellgraue Bettwäsche, aber da ich Grau nicht zu den Farben zählte, gab ich ihm keinen Farbpunkt. Sogar der Teppich auf dem hellen Laminat war weiß, ein Albtraum für jede Art von Nutzung. Die Einrichtung sah aus, als stamme sie aus einem Katalog, und sie war so steril, als wäre man in einem teuren Hotelzimmer mit Vollpension.
„Möchtest du Kaffee? Frühstück? Ich könnte zum Bäcker gehen.“
Ich sah auf und begegnete seinem Blick, der über meinen Körper wanderte. Irgendwie war er nicht der Mensch, den ich erwartet hatte. Wir hatten uns am vergangenen Abend ausgezeichnet verstanden, aber welche Chemie blieb schon am Morgen erhalten? Er hatte bekommen, was er sich von dem Abend versprochen hatte, und ich wollte keine gekünstelte Show mit Versprechen abgeben, die ohnehin keiner von uns einlösen würde. Nicht, dass ich je einem Typ die Chance gegeben hätte, mich einzuladen. Auf der anderen Seite hatte kein One Night Stand bisher Gedanken auf das Vorspiel verschwendet.
„Ich bin spät dran“, sagte ich und stülpte mir die Strumpfhose über die Zehen und rollte sie langsam auf, darum bemüht, keine Laufmasche zu hinterlassen. Wie in der Nacht zuvor folgten Marcs Augen jeder meiner Bewegungen und mein Körper vibrierte von seiner Aufmerksamkeit. Würde er mich unterbrechen, um unsere Nacht fortzuführen? Ein Teil von mir erhoffte sich, ihn zu küssen und wieder in die dunklen, braunen Augen zu starren, während er mich zum Höhepunkt trieb, aber er wandte sich ab.
„Wo musst du hin?“, fragte er.
Ich hielt inne. Er hatte wie ein Draufgänger gewirkt, ein Playboy, ein Ich-will-nichts-Ernstes-Typ, warum interessierte es ihn, was ich geplant hatte? Wie ein Stalker wirkte er auf jeden Fall nicht, daher antwortete ich ihm: „Friesenstraße.“ Ich stand auf, um mir die Strumpfhose über den Hintern zu ziehen, und fischte nach meinem schwarz-weißen Rock. Das T-Shirt landete auf seinem Bett und ich griff nach dem BH. Ich hasste das Teil, obwohl es einen phänomenalen Ausschnitt zauberte. Der BH hatte drei Ösen auf dem Rücken, die ich nicht einmal schließen konnte, wenn mein Leben davon abhing. Nachdem die obere Öse zum zweiten Mal herausgesprungen war, fischte ich nach dem Top, wurde aber von Marcs Händen auf meinem Rücken abgelenkt.
Er schloss den BH, als hätte er es unzählige Male geübt, und bevor ich mich umdrehen konnte, legte er seine Hände um meine Hüften und küsste meine Schulter. Die Berührung schüttelte mich, Gänsehaut überzog meinen Körper. Wenn ich nicht zu spät für das Frühstück bei Violet gewesen wäre, hätte ich mich ohne zu Zögern auf ihn gestürzt. „Ich fahre dich“, sagte er leise und löste sich von mir. Er zog sich das T-Shirt über den Kopf, das ich zuvor getragen hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass es unterschiedlich farbige Erbsen zeigte, die mit Strichen verbunden waren und mich vage an den Biologieunterricht erinnerten.
Während ich mir das Top anzog und versuchte, das Gefühl seiner Hände auf meiner nackten Haut abzuschütteln, wühlte ich durch die wenigen Informationen, die ich über ihn in der vergangenen Nacht zusammengetragen hatte. Biologie-Studium, blonde Locken, braune Augen, Knackarsch, hohe Wangenknochen, tadellos im Bett. Er hatte definitiv einen Haken. Hatte er eine Freundin? War er ein notorischer Draufgänger? Hatte er irgendeine Wette oder Liste, die sich seinen sexuellen Eroberungen widmete? Womöglich beides. Am besten verwarf ich die Gedanken. Während ich in meine Lederjacke schlüpfte, die wie von selbst von dem Boden auf die Lehne des Schreibtischstuhls gewandert war, zog Marc sich einen Pullover und eine Jeans an.
Als wir das Zimmer verließen, sah ein südländischer Typ, den ich schon einmal gesehen hatte, von seinem Frühstücksteller auf. „Morgen. Möchtet ihr auch etwas?“, fragte er und deutete auf einen Korb mit gekochten Eiern und Brötchen.
„Nein danke“, sagte ich schnell, bevor Marc seine Einladung wiederholte. Der Typ zuckte mit den Schultern und nahm sich ein Brötchen. Hatte er mit dem Frühstück auf uns gewartet? Wo hatte ich ihn schon einmal gesehen? Die Wohnung kam mir unbekannt vor, zu aufgeräumt für meine sonstigen One Night Stands. Sein Gesicht wirkte zwar vertraut, aber nicht so, als hätte ich ihn schon aus der Nähe gesehen. War er im Keyes gewesen?
Marc schlüpfte in Chucks, nahm einen Schlüsselbund aus einer goldenen Schale, die auf dem kleinen blauen Schrank neben der Tür stand, und öffnete mir die Tür. Ich hob die Hand, um dem Typ zu winken, und er tippte sich mit zwei Fingern an die Schläfe, als wolle er mich stumm grüßen. Marc runzelte die Stirn, während ich an ihm vorbei ins Treppenhaus trat. „Bis später, Drew“, sagte er und zog die Tür hinter uns zu.
Er führte mich mehrere Stockwerke voller schwarz-weiß Architektur-Fotografien hinunter in eine Tiefgarage. Es waren nur wenige Autos darin, und die Farbauswahl war erneut beschränkt. Ein rotes Motorrad bot einen Farbklecks, das restliche Stillleben war einem Schwarz-Weiß-Film entsprungen. Er führte mich zu einem schwarzen Audi A3, der glänzte, als wär nie jemand damit gefahren. Die Innenausstattung war sauber und roch nach Poliermittel und Leder. Dafür gab er also sein Geld aus – das Auto. „Schick.“
Marc hob eine Augenbraue, fuhr an das Tor und öffnete es mit einem Schalter, der in dem Fach bei der Mittelkonsole lag. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“
„Schlaf war letzte Nacht keine Priorität.“ Ich strich mir eine Strähne hinter das Ohr und lehnte mich in den Sitz zurück. Das Leder knirschte leise. „Ich hab heute nicht viel vor. Frühstück, Workout mit Keks, und wenn ich mich nicht aufs Ohr haue, male ich.“
„Keks?“ Ich war mir nicht sicher, ob der Unterton in seiner Stimme abgeneigt oder interessiert war. Sein Blick war auf die Straße gerichtet, seine Haltung locker. Er fuhr das Auto häufiger. Alles an ihm sagte mir, dass er mit einem lässigen Fingerschnipsen haben konnte, was er sich wünschte – und damit überhaupt nicht zu mir passte.
„Mein Stabyhond“, erklärte ich. Eine kleine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen, als hätte er keine Ahnung, wovon ich redete, obwohl er es scheinbar nicht zugeben wollte. „Magst du Hunde?“
„Nicht sonderlich.“
Das überraschte mich nicht. Würde ein Tier in seiner Wohnung leben, wäre sie chaotischer, lauter. Hätte ich seinen Mitbewohner nicht am Esstisch gesehen, hätte ich darauf getippt, dass er alleine lebte. „Ich dachte, als Biologe interessiert man sich für Tiere?“
Marc lachte leise. „Seine Art ist für meine Forschung leider vollkommen unbrauchbar.“
„Paläontologie?“
Er warf mir einen Seitenblick zu, ein Lächeln auf den Lippen. Anscheinend gefiel es ihm, dass ich ohne jeden Anhaltspunkt Vermutungen über ihn anstellte. Ich versuchte, mich an die Fachgebiete zu erinnern, die ich aus der Oberstufe kannte. Ökologie passte überhaupt nicht zu ihm; er wirkte nicht wie jemand, der sich in der Natur aufhielt und irgendwelche Flora und Fauna erforschte. „Noch ein Versuch?“
„Anthropologie? Evolutionsbiologe?“
„Immunologie, spezialisiert auf Genetik.“
„Das erklärt dann wohl die Erbsen.“
Marc grinste. „Wo soll ich dich am besten raus lassen?“ Ich blickte auf. Wir waren bereits in der Friesenstraße angelangt. Alte Villen säumten die Allee. Die knorrigen Bäume wirkten wie alte, verklebte Pinsel am Bordstein. Wir näherten uns der Kreuzung, die auf zwei Seiten den Park begrenzte. Nur ein Geschäft war hell erleuchtet.
„Dort bei der Bäckerei reicht mir.“ Ich zog meinen Rock zurecht, sobald Marc das Auto anhielt. Er wandte sich zu mir um, sein Blick glitt über mich, als wolle er die letzten Minuten in meiner Gegenwart genießen. Erwartete er einen Kuss? „Das war wirklich sehr freundlich von dir.“
Er blinzelte, aus den Gedanken gerissen. „Viel Spaß und guten Appetit.“
Ich legte den Kopf schief, dann beugte ich mich zu ihm hinüber und flüsterte in sein Ohr: „Mit mir hat man immer eine Menge Spaß.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und war aus dem Auto ausgestiegen, bevor er reagieren konnte.
Danke für’s Anhören oder Lesen!
Das Ende dieser Szene zu schreiben war für mich besonders schwierig. Marc und Dodo waren diese spannenden Figuren in meinem Kopf – und dann machen sie das! Die Szene stieß etwas in mir an, ließ die beiden real werden – und diese Szene veränderte die Geschichte. Ohne die unzähligen Platzhalter am Ende, die Frage, welche Stimmung zwischen meinen Figuren herrschen sollte, und die beiden Dickköpfe, die die Finger nicht voneinander lassen können, wäre das Erlebnis ein anderes gewesen. Einen kleinen Einblick in die Veränderungen, die die Geschichte durchlaufen hat, gibt es in diesem Blogbeitrag: Der Anfang einer Idee, das Ende einer Rohfassung und die Erkenntnisse einer Autorin. Jetzt kitzelt es mich in den Fingern, weiter zu überarbeiten. Auf ins Manuskript?
Wie hat dir die Szene gefallen? Wen magst du lieber – Marc oder Dodo? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar!
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