Viktorianisches London, Jack the Ripper, und eine junge Frau mit einer Faszination für die Gerichtsmedizin. All dies verbirgt sich in „Stalking Jack the Ripper“, einem Young Adult Roman von Kerri Maniscalco, der die Elemente Horror, Mystery und Crime in einem historischen Setting verbindet. Ein Buch, das sehr gemischte Gefühle in mir hervorruft. Neugierig geworden? Dann lies diese Rezension!
Das Buch
Titel: Stalking Jack the Ripper
Autor: Kerri Maniscalco
Reihe: Stalking Jack the Ripper-Quartett
Verlag: Jimmy Patterson Books (James Patterson Presents)
Erscheinungsort: New York / Boston / London
Erscheiungsjahr: 2016
Umschlaggestaltung: Jeff Miller
Originalsprache: Englisch
Übersetzung: /
Genre: Young Adult Horror / Mystery / Crime / History
ISBN: 978 – 0 – 316 – 27349 – 7
Klappentext:
He murdered women in cold blood.
He terrorized an entire city.
He taunted those of us who hunted him down.
But despite all these horrors, in the end, I could not deny it …
I WAS THE GIRL WHO LOVED
THE RIPPER.
Triggerwarnung
Leider kommt kein Buch ohne Inhalte aus, die potentiell Menschen triggern könnten. Solltest du wissen, dass es Inhalte gibt, die dich triggern, siehe dir bitte die unter „mögliche Trigger“ aufgeführten Punkte im zweiten Tab an und entscheide danach, ob du diese Rezension bzw. das Buch lesen möchtest. Ich versuche triggernde Inhalte in der Rezension zu meiden, aber nicht immer ist es möglich, betreffende Inhalte zu meiden.
Das Buch enthält folgende möglicherweise triggerende Inhalte:
Tod, Gewalt, Leichenschändung, Krankheit, Blut, Mord, Folter und psychische Folgen derselben.
Solltest du von einem dieser Inhalte getriggert werden, rate ich dir, das Buch nicht zu lesen.
Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Solltest du weitere Inhalte kennen, die potentielle Trigger darstellen, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du sie mir mitteilst, damit ich sie in der Liste ergänzen kann.
Rezension:
Bevor ich mich in den Seiten des Buchs und damit dieser Rezension verliere, eine kleine Information vorweg: Ich bin ein großer Fan von Informationen rund um Jack the Ripper, habe so ziemlich jede verfügbare Dokumentation über die Morde gesehen und viele Theorien gelesen, um wen es sich bei Jack the Ripper handelte.
Dabei mag ich die fiktiven Interpretationen, die Einbindung der Legende in die unterschiedlichsten Werke. Ich mag es besonders gern, wenn auf Basis der bekannten Hinweise Handlungsstränge gesponnen werden. Je besser umgesetzt, desto besser.
In „Stalking Jack the Ripper“ werden viele Elemente übernommen, die bekannt sind – die Mordopfer, die Briefe. So weit, so gut. Meine Erwartungen sind gar nicht so hoch, aber die Auflösung dieses Buches hat mich enttäuscht. Es ergab für mich weder angesichts der vielen Profiling-Punkte, die es zu den Morden gibt, Sinn, noch fand ich es logisch innerhalb der Geschichte. Der Mörder in „Stalking Jack the Ripper“ war mir persönlich zu weit von allem entfernt, was ich über Jack the Ripper gelesen habe – und der Interpretation von Kerri Maniscalco konnte ich nur bis zu einem gewissen Punkt folgen. Ich möchte das Ende nicht vorwegnehmen, aber für mich hat einer der Verdächtigen so viel mehr Sinn ergeben als die große Enthüllung im Finale.
Kurz gesagt: Ich war von dem Finale des Buches enttäuscht – insbesondere von dem Täter. Eine Figur war deutlich besser und nachvollziehbarer ausgearbeitet als der Täter, ich konnte ihm als Autorin wenigstens ein realistisches Motiv zuschreiben, ihn mit den Toten irgendwie in Verbindung bringen. Er hätte selbst mit derselben, weit hergeholten Erklärung als Täter glaubwürdiger überführt werden können als der eigentliche Täter. Auch nach mehreren Monaten finde ich die Auflösung schlichtweg unschlüssig.
Vor allem ergeben die im Buch dargestellten Motive, die Verbindungen zwischen Täter und Opfer, die Verbindung zum East End, die der Täter nachweislich haben musste, keinen Sinn, kennt man den Fall und das erstellte Profil des Täters. Es passt vorne und hinten nicht.
Aber genug von meinen Ansprüchen, meiner „Jack the Ripper“-Obsession, meiner morbiden Faszination für das viktorianische London. Jetzt widme ich mich ausführlicher dem Buch – und all den Facetten, die dafür gesorgt haben, dass ich das Buch gerne gelesen habe.
HE’S THE INFAMOUS KILLER NO MAN HAS EVER BEEN ABLE TO FIND.
NOW IT’S A GIRL’S TURN.
Groomed to be the perfect highborn Victorian young lady, Audrey Rose Wadsworth has a decidedly different plan for herself. After the loss of her beloved mother, she is determined to understand the nature of death and its workings. Trading in her embroidery needle for an autopsy scalpel, Audrey secretly apprentices in forensics. She soon gets drawn into the investigation of serial killer Jack the Ripper, but to her horror, the search for clues brings her far closer to her sheltered world that she ever thought possible.
Inspired by the infamoulsy unsolved case, this dazzling debut by Kerri Maniscalco weaves an atmospheric tale of beauty and darkness in which a remarkably modern Victorian girl discovers that some buried secrets simply won’t stay dead.
(Einband-Text von „Stalking Jack the Ripper“ von Kerri Maniscalco)
„If you’d like to see me out of my breeches, simply ask, Wadsworth. I’m more than happy to accomodate you on that front.“
„Scoundrel.“
Thomas Cresswell und Audrey Rose Wadsworth, in: Kerri Maniscalco: Stalking Jack the Ripper, New York / Boston / London, Jimmy Patterson Books, 2016, S. 106.
Die Sprache, die Beschreibungen und der Ton
Insgesamt mochte ich von der ersten Seite an die gewählte Sprache – sie war antiquiert, ohne altbacken zu wirken, und hatte einen angenehmen Ton, der mich in die Geschichte zog und einen wesentlichen Charme des Buches ausmachte. Die Beschreibungen sind häufig perfekt, um die Szenerie zu unterschreiben. Sie sind ungewöhnlich, aber passend. Generell waren die Beschreibungen so eindrücklich, dass ich Räume und Szenen verinnerlichte. Als Autorin beneide ich Kerri Maniscalco um ihr Sprachgefühl (wobei englisches und deutsches Sprachgefühl eben doch ein anderes ist). Für deutsche Leser:innen, die nicht häufig englische Bücher lesen, könnten die vielen Begriffe zu einer Herausforderung werden, aber insgesamt fand ich es verständlich und eindrücklich.
Das Design des Buchs
Außerdem: Einen großen Pluspunkt gibt es für die viktorianischen Fotos und das Design in dem Buch! Es passte perfekt zur Sprache, zum Stil und insgesamt der Geschichte. Generell war es sehr liebevoll gestaltet. Manche Bilder sind nichts für Zartbesaitete, aber dann ist das Buch vermutlich auch nichts für die Person. Ich kann nur empfehlen, sich Illustrationen aus z.B. „The Punch“ aus 1888 über Jack the Ripper anzusehen, sie sind grandios und einen Blick wert. Leider kam die Rolle der Presse bei der Verfolgung des Mörders für meinen Geschmack in dem Buch etwas zu kurz, genauso wie die Präsenz der Polizei auf den Straßen Whitechapels nicht deutlich genug wurde.
Die Figuren – Kritik und Lob?
Leider fand ich gerade die Nebenfiguren und Statist:innen sehr klischeebehaftet – die Tante und das Medium seien kurz genannt. In der Hinsicht hätte ich mir mehr Variationen, mehr Neuerungen gewünscht. So sind sie nicht über die Klischees dieser Figuren hinausgekommen. Zum Teil fand ich sie gar für den Plot unnötig . Es wurde so viel mit Tropes aus Geschichten, die in dieser Zeit spielen, gearbeitet, das ich mir manchmal eine größere Loslösung gewünscht hätte.
Gleichzeitig waren Audrey Rose, ihr Vater, und Onkel gut angelegt – und ich liebe Thomas Cresswell, den zweiten Assistenten von Audreys Onkel. Seine unflätigen Kommentare sind klasse und generell ist sein Charakter spannend und sehr schlüssig geschrieben. Er war in jeder Szene mein Highlight und ich konnte niemals genug über ihn erfahren. Er ist meine heimliche Hauptfigur und ein absolut würdiger Love Interest. Dass ich Zitate aus Szenen mit ihm als Illustration gewählt habe, verdeutlicht auch, dass ich die Dialoge zwischen Audrey Rose und ihm beinahe ausnahmslos als gelungen empfinde. Ohne die beiden in der Interaktion hätte ich das Buch vermutlich irgendwann zur Seite gelegt. Ganz viel Liebe für Thomas Cresswell!
Insgesamt hätte ich mir aber mehr vernünftige, durchdachte Agenda der Hauptfiguren, insbesondere von Audrey Rose, gewünscht. Das, was Audrey Rose wollte, war manchmal aus Sicht einer Frau der oberen Schichten nicht nachvollziehbar und viel zu häufig betont sie, wie sie es haben möchte, ohne es zu zeigen („Show, don’t tell“, liebe Autor:innen!) . Der Spagat zwischen „Ich möchte einen Männerberuf in London 1888 ergreifen!“ und „Ich mag Kleider und Rüschen und bin gerne damenhaft“ war manchmal zu groß, zu gewollt. Gleichberechtigung ist in Büchern wichtig, aber nicht, indem die Figur „Gleichberechtigung!“ schreit, sondern indem sie den hohen Stellenwert derselben einfordert und verinnerlicht. Und dann noch ein Punkt: Konventionen hin oder her, eine Frau verlässt ohne Begleitung nicht mitten in der Nacht das Haus, wenn ein Mörder durch die Straßen schleicht. Das ist gesunder Menschenverstand. Kann diese Nachricht bitte, bitte, bitte an alle Autor:innen weitergegeben werden? Lass die Protagonist:innen wenigstens mal zögern, verdammt!
Die Auflösung – Plot-Beschwerde die Zweite
Kommen wir zu einem Punkt, der mich das Buch mit gemischten Gefühlen betrachten lässt. Ich habe schon eingangs erwähnt, dass ich ein großer Ripper-Fan bin und mich entsprechend mit der Materie einigermaßen auskenne und dass ich von dem gewählten Täter enttäuscht war.
An dieser Stelle möchte ich kurz die historischen Fakten ruhen lassen und nur die Handlung des Romans betrachten. Für mich war die Auflösung nämlich mehr als unzufriedenstellend. Die Hinweise, die es zu den Verdächtigen gab, waren dürftig und wurden nicht ausreichend erklärt. Gerade die Verbindung zu den Mordopfern hat sich mir überhaupt nicht erschlossen, genauso wenig wie das Mordmotiv.
Der Twist im Finale wurde nicht ausreichend ausgearbeitet, nicht ausreichend vorbereitet, nicht ausreichend im Zusammenhang mit den Morden erklärt. Da wären mehr Möglichkeiten gewesen, die Geschichte schlüssig zu erzählen. Für mich waren die Beschreibungen Londons, die Interaktionen, die Arbeit als Gerichtsmediziner und die horrenden Umstände der Menschen durchaus liebevoller gestaltet als der Plot an sich. Schade!
I closed my eyes. He really was an enormous test of my patience, but he might prove useful with my next task. If anyone would be able to read a situation, it’d be Thomas Cresswell. I wanted answers […], and could think of only one person who might know about her. I stood, and Thomas joined me, eager to move onto our next mission.
„Hurry along, then“, I said, grabbing my orchid and securing it safely in my journal. „I want to sit by the window.“
„Hmm.“
„What now?“ I asked, losing my patience.
„I usually sit by the window. You may have to sit in my lap.“
Kerri Maniscalco: Stalking Jack the Ripper, New York / Boston / London, Jimmy Patterson Books, 2016, S. 83.
Stalking Jack the Ripper – yay or nay?
Zuletzt möchte ich festhalten, dass die Geschichte für Liebhaber von Mysterien und von grausamen Morden in einem viktorianischen Setting und vor allem für Sherlock Holmes-Fans, die sich gerne eine Romance gewünscht hätten, durchaus unterhaltsam sein kann. Die Figuren haben Charme, Thomas und Audrey Rose bilden ein gutes, sich ergänzendes Team und das Setting ist grandios geschrieben. Aber für Fans von Jack the Ripper oder Liebhaber:innen von komplexen und gleichzeitig schlüssigen Handlungen könnte das Buch zur Enttäuschung werden. Generell hatte ich den Eindruck, dass die Autorin vieles sehr, sehr richtig gemacht habe, aber das Finale für mich nicht ausreichend durchdacht hat. Es kommt mir wie eine grandiose Idee in der letzten Minute vor, aber nicht wie eine langfristig geplante Auflösung einer komplexen Mordserie. Ich bin dennoch gespannt, auf die Folgebände.
Hast du das Buch gelesen, gar eine Rezension geschrieben? Wie hat es dir gefallen? Haben dich dieselben Dinge begeistert oder gestört? Mochtest du Thomas auch so sehr, bist du gar Team #Cressworth? Ich bin gespannt auf deine Kommentare!
Weitere Rezensionen von Blogger_innen:
und meine Lieblingsrezension:
Du interessierst dich für Jack the Ripper oder möchtest gerne ein paar gute Dokumentationen zum Thema schauen?
Auf Youtube gibt es zahlreiche Dokumentationen, seit einiger Zeit z.B. die Kanäle „House of Lechmere“ und „Jack the Ripper Tour“, die sich u.a. mit Interviews und Literatur sowie eigener Theorien befassen.
Leider sind die Dokumentationen immer wieder nicht auffindbar, weshalb ich keine Links mehr angebe. (Stand 2024)
Hallo 🙂
wow, eine sehr ausführliche Rezension! Das Buch hat mich auch sehr interssiert, aber bis jetzt habe ich einfach zu viele Punkte dazu gefunden die mich dann doch nerven würden.
LG
Hallo!
Das kann ich absolut verstehen. Für mich war es einerseits ein Cover-Kauf und andererseits bin ich durch den Titel als Ripper-Fan neugierig geworden. Aber meine Rezension macht ja auch deutlich, dass ich es nicht nur gut finde. Danke für den Kommentar!
Liebe Grüße,
Francis
Ich hoffe so, so, so sehr, dass die Reihe endlich mal übersetzt wird, denn ich möchte es wirklich unbedingt lesen :/
Auf Englisch fällt für mich allerdings raus. So Schade. Ich glaube dass es sich gut verkaufen würde.
Liebe Chrissi,
ich kann das gut verstehen. Ich habe damals angefangen, englische Bücher zu lesen, weil ich nicht länger auf die deutschen Versionen warten wollte. Anfangs war es ein Kampf, daher verstehe ich auch alle, die diesen Weg nicht beschreiten. Ich glaube auch, dass die Reihe gut auf dem deutschen Buchmarkt ankommen würde. Mal sehen, ob irgendein Verlag sie irgendwann doch noch ins Programm aufnimmt. Vielen Dank für deinen Kommentar!
Liebe Grüße,
Francis